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In einem Buch über sozia-
le Kompetenz habe ich einmal
diesen Tipp gelesen: Wenn man
schüchtern ist (was ich damals
noch mehr war als heute), sollte
man sich für ein Fest, eine Einla-
dung oder eine Party schon vor-
her zwei oder drei Geschichten
überlegen, die man eventuell ein-
bringen könnte.
Zunächst fand ich diesen Gedan-
ken doof, künstlich, gemacht.
Aber dann überlegte ich mir,
dass es auch nicht gerade höflich
oder hilfreich ist, still in der Ecke
zu sitzen. Und alle Geschichten,
die die anderen scheinbar so aus
dem Ärmel schütteln und die ich
mir neidisch anhöre, erzählen sie
wahrscheinlich auch nicht zum meine Gewissenskonflikte dabei langsam rollte ich aus dem Loch
ersten Mal. mehr oder weniger ausschmü- heraus.
cken.) Ich war total begeistert, einerseits
Und so schaffte ich es vor Jahren Ich war nicht der Einzige, der über die Gebetserhörung und an-
aus der Schweigeecke herauszu- das tat. Der Weg führte bei nie- dererseits, dass es einfach wieder
kommen. seligem, grauem Wetter quer vorwärts ging.
Heute haben sich eine Menge durch unendliche Rübenfelder. Singend, Gott lobend, rollte
weiterer Geschichten angesam- Eine geteerte Straße war weit und ich weiter und fuhr die folgen-
melt. Ich erzähle gerne und schaf- breit nicht in Sicht. Der Regen, den Wasserpfützen mehr riskant
fe dadurch Beziehung oder brin- der schon einige Tage andauer- schräg an als dass ich hineinfuhr.
ge Leben in die Bude. te, nahm wieder zu und immer Und endlich stieß ich auf einen
Klar war mir damals, dass es mehr Schlaglöcher erschwerten geteerten Weg, der mich dann
spannende und / oder lustige Ge- das Fahren. Und wirklich, da sah auf eine Hauptstraße führte, die
schichten sein sollten, wirklich ich schon die ersten Autos (mit mich wiederum, und das sogar
erlebte und solche, wo ich nicht Westkennzeichen), die in einem rechtzeitig, nach Leipzig brachte.
zu positiv, aber auch nicht zu ne- Wasserloch festsaßen. Umkehren
gativ drin vorkam. ging nicht. Bald saß auch mein Diese Story erzählt sich besser, als
Das war damals meine Einstei- Auto fest. sie sich schreibt. Bisher habe ich
gerstory: Nichts ging mehr. Grau, es reg- die Zuhörer immer gewonnen.
nete in Strömen. Panikgefühle Und danach gab es genügend
Autobahn illegal verlassen schlichen sich ein. Es wurde lang- Diskussionsstoff, bzw. die ande-
Kurz nach der Wende, als sich die sam dunkel. Zum Anschieben ren fingen an, ihre Geschichte
Staus gegen Berlin auf der Auto- war jetzt niemand in Sicht. anzuhängen, über Gewissenkon-
bahn schoben, hatte ich kurz vor Und dann (je nach Zuhörer va- flikte, über Gebetserhörungen
Leipzig die Nase voll und bog riiere ich jetzt, wie fromm ich oder über erste Erfahrungen nach
illegal auf einen Feldweg ab, um mich ausdrücke) kam ich auf die der Wende.
mich dann quer durchs Land Idee, zu beten. Ein ernsthaftes
nach Leipzig durchzuschlagen. Stoßgebet, würde ich sagen. Und Das Fest, die Feier, die Party hatte
(Je nach zur Verfügung stehender wirklich, ich fuhr sehr vorsichtig an Bewegung gewonnen.
Zeit und Zuhörerkreis kann ich wieder an, die Räder griffen und Stories sind Perlen!
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